Ernst Barlach, Die Kupplerin II, 1920, Gips, Foto: Alexander Klaus, ©Archiv Ernst Barlach Stiftung

Die Kupplerin II
1920 | Gips, unter Schellack | großes Atelier


Das 1920 in Gips entstandene Werkmodell „Die Kupplerin II“ zählt zu den außergewöhnlichen und eindringlichen Arbeiten des Künstlers Ernst Barlach (1870-1938). Es kann Aufschluss geben über sein zwiegespaltenes Frauenbild, welches sich in vieler seiner Werke widerspiegelt.
Zu sehen ist eine ältere Frau, die Kupplerin, die hinter einem jungen Mädchen steht, das vor ihr auf dem Boden sitzt. Der Blick der Kupplerin ist gleichgültig, suchend nach der nächsten Beschäftigung für das Mädchen, während das Mädchen resigniert und gebrochen, mit offenem Gewand, geradeaus blickt. Beide sind mit einem Gewand bedeckt, wobei nur die Gesichter, und bei dem jungen Mädchen der nackte Oberkörper, zu sehen sind.
In der Kunstgeschichte ist die Prostitution keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Schon in der Antike wurden Prostituierte auf Kunstwerken verewigt, sei es im Inneren von Trinkschalen oder auf Wandgemälden. Doch auch um die Lebenszeit von Barlach war das Thema stets präsent. Beispielhaft wäre hier Otto Dix‘ Gemälde „Der Salon I“ (1921), in dem er die entmenschlichende Wirkung der Prostitution aufzeigt. Doch auch schockierendere Bilder, wie etwa in Heinrich Maria Davringhausens‘ „Der Träumer II“ (1919) oder Otto Dix‘ „Der Lustmörder“ (1920), wurden zur Schau gestellt, welche die grausame Realität der Lustmorde aufzeigten, die überwiegend an Prostituierten verübt wurden.
Die in der Zeit in Deutschland grassierende Rezession ging auch an den Menschen nicht spurlos vorbei, was vor allem in Metropolen ein wachsendes Problem darstellte. Viele Frauen wurden wegen der weitreichenden Armut und Arbeitslosigkeit in die Prostitution getrieben – genau dieser Schicksale nimmt sich Barlach in der Arbeit „Die Kupplerin II“ an.
Barlachs Frauenbild hingegen war zwiegespalten. Einerseits wird in der Literatur angegeben er habe Frauen als vergnügungssüchtig und triebgesteuert gesehen und sei von Prostituierten angeekelt, andererseits rückte er das Schicksal der Frauen und Prostituierten in den Mittelpunkt. Doch während im 19. Jahrhundert Künstler wie Henri de Toulouse-Lautrec oder Edgar Degas Frauen ästhetisch im Moment sexueller Begierde darstellen, rückt Barlach Prostituierte als Randgruppe der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Betrachtung. Mit seiner Darstellung gesellschaftlicher Schattenseiten ist Barlachs Plastik „Die Kupplerin II“ exemplarisch für den späten Expressionismus.
Text: Philipp Brox

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"Der Asket", 1925 (Guss 1930), Gips, braun getönt, Foto: Alexander Klaus
© Archiv Ernst Barlach Stiftung
"Der Asket", 1925 (Guss 1930), Gips, braun getönt, Foto: Alexander Klaus © Archiv Ernst Barlach Stiftung

Der Asket
1925 (Guss 1930) | Gips, braun getönt | großes Atelier

„Der Asket“ ist eines von Ernst Barlachs Werken, welche um 1925 entstanden, jedoch auf dem Kunsthandel nie verkauft werden konnten. Doch vielleicht sollte es das auch nicht, genauso wie „Die Hexe“ und „Der Träumer“. Barlach selbst sagte im Januar 1932 in einem Brief: „Für mich wäre es eine rare Empfindung, dieser Arbeit […] wieder zu begegnen, wie es halb bestürzend halb, beglückend war, andere Stücke […] z.B. die Hexe, den Beter, den Träumer wieder an mich zu nehmen, da sie im Kunsthandel unverkäuflich schienen.“ Vielleicht sollte gerade „Der Asket“ bei Barlach bleiben und mit seiner Gelassenheit auf ihn einwirken.
Er vermittelt ein Gefühl von innerer Ruhe und Abgeschlossenheit. Dies lässt sich auch gut an den Details erkennen. Es gibt quasi keine geraden Linien, alles geht gebogen in sich über, wie die Augenbrauen, die von der Nase aus schwingend in Wangen und Mund übergehen. Seine vor sich gelegten Arme lassen sich durch das lange, beinahe faltenlose Gewand nur erahnen, zeigen aber eine Verbundenheit mit sich selbst. Er muss nicht, wie „Der Ekstatiker“ jemandem zurufen oder sich auf etwas vorbereiten wie „Der Schwertzieher“, denn er ist gar nicht daran bedacht jemand anderen, außer sich selbst, Beachtung zu schenken. Außerdem zeigt „Der Asket“ ein schlichtes Dasein auf, wie Barlach es vermochte, wie es auch die einfachen Arbeiter:innen nicht anders kannten. Dies ist auch an Barlachs Atelierhaus zu sehen: kein übermäßiger Prunk, sondern ein Funktionsbau.
Und genau diese Schlichtheit nutzt auch „Der Asket“ um sich von seinen Sorgen und Ängsten zu befreien und sein Leben besser zu genießen.
Mit seinen geschlossenen Augen und zugezogenem Gewand, sowie der Beherrschtheit in seiner Haltung zeigt er den Preis und den Lohn des auf die Entwicklung der eigenen seelischen Kräfte ausgerichteten Lebens.
Bei uns ausgestellt ist das Werkmodell aus braun getöntem Gips, unter leichtem Schellack, welches für die Ausführung in Holz bestimmt war, ein Bronze-Guss erfolgte um 1930. Es ist also ein Modell, welches es zur Vollendung des Werkes braucht. Genauso, wie wir vielleicht alle einen inneren Asketen brauchen, der zur Vollendung unseres Ichs benötigt wird.
Text: Philipp Brox
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„Russische Bettlerin II“ (Bronze,1932), Foto: Alexander Klaus
© Archiv Ernst Barlach Stiftung Güstrow

Russische Bettlerin II
1932, Guss 1938 | Bronze

Mit dem 1932 entstandenen Werk Russische Bettlerin II (1932) greift Ernst Barlach (1870-1938) einen wichtigen Motivkreis innerhalb seines Oeuvres nochmalig auf. Der Ursprung dessen bildet seine Russlandreise 1906. Diese ist besonders wichtig für die Biografie Barlachs, da sie als ästhetischer und thematischer Neubeginn seiner Kunst gesehen wurde und wird.
„Alles, was ich gemacht habe, eh ich sechsunddreißig war, kann ich leichten Herzens verabschieden“ (Ernst Barlach, Dez. 1919 Friedrich Schult: Barlach im Gespräch, mit ergänzenden Aufzeichnungen des Verfassers, hg. von Elmar Jansen, Leipzig 1989, S. 14)
Aus einer Identitätskrise heraus reiste Barlach 1906, auf Einladung seines Bruders Hans (1871-1953), welcher zu dieser Zeit beruflich in Russland lebte, zusammen mit seinem Bruder Nikolaus (1872-1925), nach Süd-Russland. Dort füllte er seine Taschenbücher mit vielen Skizzen, welche seine ersten Eindrücke des russischen Lebens einfangen. Die Armut der Bettler, die Landschaft, Bildnisse von Arbeitern aus der Region dienen noch viele Jahre später Barlach als Inspiration für seine Werke. Auch die Russische Bettlerin I welche bereits 1907 entsteht fängt all die Eindrücke ein. Die Russische Bettlerin II ist eine abweichende Fassung des gleichen Motivs. Der neue expressionistische Stil Barlachs ist deutlich zu erkennen. Die Körperhaltung und der Mantel der Bettlerin, welcher eine detaillierte Darstellung des Körpers überflüssig werden lässt, führen zu einer beinahe abstrakt anmutenden Darstellung des Körpers. Der Kopf ist weit gesenkt, sodass das Gesicht unkenntlich bleibt. Eine gewisse Anonymität, aber auch die Verzweiflung und Kraftlosigkeit wird für den Betrachter übermittelt. Die Aufmerksamkeit hingegen wird auf die geöffnete Hand gelenkt. Sie ist als einziges Element reell detailliert dargestellt und steht somit im Fokus. Im Gegensatz zu dem kraftlosen Körper kann die Gestik und Ausführung der Hand auch für Kampfeswille stehen.                               
Text: Nele Bösel

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